Dies ist ein Ausschnitt aus dem „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks vom 30.7.06.
Moderation: Hans-Joachim Wiese.

Wiese: Und wie beurteilen Sie die Kriegsführung auf beiden Seiten? Da gibt es ja deutliche internationale Kritik.

Lafontaine: Ich bin der Meinung, dass die ganze Politik in den letzten Jahren im Nahen Osten darunter gelitten hat, dass das Völkerrecht zu wenig beachtet worden ist. Für mich ist das Völkerrecht die Grundlage der Schaffung von Frieden überhaupt. Wie das im Inneren ist, so ist das auch im Äußeren. Nur wenn die Beteiligten sich an das Recht halten, gibt es die Möglichkeit, friedlich zusammen zu leben. Und insofern ist die Kriegsführung, sofern sie Zivilisten beispielsweise mit einbezieht, ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und sollte also dann auch von den Beteiligten sofort eingestellt werden. Es ist sehr traurig, dass die Führungsmacht des Westens, die Vereinigten Staaten beispielsweise, sich nicht an das Völkerrecht halten oder nur dann, wenn es ihnen passt, und wenn es ihnen nicht passt, wird es zur Seite geschoben. Dasselbe gilt für Israel. Aber auch die Hisbollah, wenn sie auf Städte feuert, missachtet in gröblicher Weise das Völkerrecht.

Wiese: Sie nennen das Stichwort Völkerrecht, Herr Lafontaine. Israel nimmt ja nun für sich das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch.

Lafontaine: Das nehmen alle in Anspruch. Insofern führt dieser Gedanke überhaupt nicht weiter. Nur wenn es zu einem Waffenstillstand kommt und in Zukunft dann das Recht beachtet wird, können wir eine friedlichere Zukunft haben.

Wiese: Zur Sprache kam in Rom auch der Einsatz einer internationalen Friedenstruppe, oder Stabilisierungstruppe wurde sie auch genannt. Was halten Sie davon?

Lafontaine: Davon halte ich schon etwas, weil es eine Tradition ist in der Welt, Konfliktparteien dadurch zu trennen, dass eben Neutrale dazwischen gehen. Und insofern ist dieser Gedanke grundsätzlich zu unterstützen. Wir sagen aber dazu, dass die NATO nicht infrage kommt, weil sie als verlängerter Arm der Vereinigten Staaten von Amerika gilt. Wichtig wäre es eben, die UN einzuschalten und die UNO überhaupt zu stärken, wenn es um den Weltfrieden geht.

Wiese: Wer käme Ihrer Meinung nach als Truppensteller infrage?

Lafontaine: Da will ich keine Vorschläge machen. Ich will nur unseren Standpunkt deutlich machen. Wir, die Deutschen, kommen nicht infrage, denn solche Truppen müssen zwischen den Konfliktparteien schlichten, und dass wir nicht geeignet sind, zwischen den Schiiten und Israelis zu schlichten, dürfte eigentlich selbstverständlich sein.

Wiese: Aber wäre es nicht gerade angesichts der deutsch-jüdischen Geschichte angemessen, wenn deutsche Soldaten Israel in einem Krieg unterstützen, den es selbst als Überlebenskampf bezeichnet?

Lafontaine: Nein, wir können auch in dieser schwierigen Frage uns nur auf international geltende Normen stützen. Wir dürfen nicht parteiisch sein. Und es geht hier um Menschen, zunächst um Menschen, ohne dass man die Nationalitäten betrachtet. Und einseitige Stellungnahme und Unterstützungen sind uns auch im Angesicht unserer Geschichte verboten. Wenn Sie so wollen, gibt es auf der einen Seite die schlimmen Verbrechen der Nazis und damit die historische Schuld gegenüber Israel und den Juden. Auf der anderen Seite haben wir aber auch eine historische Schuld gegenüber den Palästinensern. Das wird in Deutschland viel zu wenig beachtet. Denn die Gründung des Staates Israel und die Vertreibung der Palästinenser ist ja auch eine Folge der Verbrechen der Nationalsozialisten.